Farbe und Kunst: Goya


6. Bildbetrachtungen El aquelarre der Hexensabbat
Im Werk El aquelarre mit den Massen 140x438 cm sitzt im linken Vordergrund ein Ziegenbock, den man im Gegenlicht schwarz in Rückenansicht sieht. Im Mittelgrund, in ovaler Form angeordnet, schart sich um ihn ein Konglomerat von einem undefinierbaren Men-schenknäuel. Auf der gleichen Höhe des Ziegenbocks sitzt eine schwarz verhüllte und ge-sichtslose Frau auf einem Stuhl und schaut diesem dämonischen Treiben teilnahmslos zu. Der Hintergrund zeigt keine perspektivische Gestaltung, er wirkt raumlos, ohne Tiefe, ist nicht mehr als Raum fassbar, so dass die Menschenmasse in einem undefinierbaren Dun-kel, dem Chaos zu schweben scheint. Das Licht fällt vorwiegend auf die sardonischen Ge-sichter, die wegen dem expressiven Pinselstrich fratzen- und maskenhafthaft wirken. Die Augen oder die blossen Augenhöhlen als helle Lichtpunkte dramatisieren die Anonymität dieses kommunikationslosen Schauspieles. Obwohl die einzelnen Figuren den Mund teilweise wie zum Sprechen geöffnet haben, richten sie sich jedoch nicht direkt an eine andere Figur, sondern scheinen mit verzerrtem Gesichtsausdruck nur unartikulierte Töne von sich zu geben. Trotz der vielen Gesichter wird die Dissoziation in den Menschen, die Auflösung ihres Bewusstseinszusammenhangs sichtbar und mit dem dunklen, nicht definierbarem Hintergrund, ohne Anfang und Ende, verstärkt sich diese Situation. Die menschlichen Figuren sind ohne klaren Umrisse gemalt, ortlos und gesichtslos stehen sie nebeneinander.

Das in sehr dunklen Farben gehaltene Bild, unterbrochen mit weiss-gelblichen Ockertönen, ist "ein finsteres Hexenbild. Der Maler hatte in seiner Vereinsamung volle Freiheit, den Gespenstern der Angst, die ihn verfolgten, Gestalt zu geben. In eine Mönchskutte gehüllt, predigt der Teufel im Bocksfell seinen im fahlen Mondlicht versammelten Gehilfinnen. Ein Vorderbein hat er zur Segnung erhoben. Die sich um ihn drängenden, unheimlichen Wei-ber sitzen und hocken im Kreis mit aufgerissenen Mäulern, dunklen Gesichtern, stumpfen und maskenhaften Gebärden im Rausche von Religion und Sinnlichkeit. Sind sie Hexen oder werden sie verhext?

Goyas dynamisch bewegte, brutale Pinselschrift, gelegentlich mit dem Spachtel aufgetrage-ne Farbe, vergrösserrt die Suggestion des Eindringen unter die Fläche der Zivilisationsschicht. Massenpsychologische Tiefenschau des kollektiven Wahns, Vorwegnahme surrea-listischer und expressionistischer Mal- und Ausdrucksweise."

Goya stellt die Menschen als dämonische Wesen dar und hinterfragt dadurch ihre Fähigkeit zur Vernunft. In diesem Spätwerk wird Goyas Resignation und Zweifel am Menschen als vernunftbegabtes Wesen spürbar.

Philipp Wyrsch, Zürich

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