Farbe und Kunst: Goya


5. Bildbetrachtungen El perro Der Hund
Das Gemälde El perro mit den Massen 134x80 cm ist unter den Bildern der schwarzen Malereien sicher eine der eigenwilligsten Arbeiten. Das Bild ist in drei Ebenen gegliedert. Der Vordergrund zeigt eine braune Farbfläche, die in der rechten Bildhälfte leicht ansteigt und ungefähr einen Fünftel der gesamten Bildfläche einnimmt. Sie kann als Hügel oder Bodenwelle gelesen werden, hinter der im Mittelgrund ein Hundekopf sichtbar ist, dessen Blick in die rechte obere Bildecke führt. Die Kopfstellung des Hundes zeigt eine unterwürfige Haltung, die mit dem einsamen Blick der Augen Angst, Unterdrückung, aber auch eine Erwartungshaltung zum Ausdruck bringt. Der grösste Teil des Gemäldes besteht aus dem Hintergrund, den wir als ocker-rot-braune Farbfläche wahrnehmen. Der Hintergrund löst sich auf und verliert an Perspektive, wird zum leeren Raum.

Der Hund war für Goya ein beliebtes Motiv und erinnert an seine Darstellungen der Jagdhunde. Beim Porträt Don Carlos III. malte er den Hund jedoch nicht als wachsamer Hüter, sondern als schlafender Wächter. Er, der Treue, Ahnhänglichkeit und Wachsamkeit symbolisiert, ist auf diesem Bild eher ein Wächter an der Grenze zwischen dieser Welt und dem Jenseits, Hüter des Übergangs, Wächter der Unterwelt, der Totenwache. Weil der Hund im Leben des Menschen ein Begleiter gewesen ist, bleibt er dies auch nach dem Tod und legt Fürsprache ein und vermittelt zwischen den Toten und den Göttern der Unterwelt. Dem Hund werden auch menschenähnliche Fähigkeiten nachgesagt, so dass eine Verwandschaft zwischen ihm und den Menschen besteht. Hierzu möchte ich einen Textausschnitt anfüh-ren aus Miguel de Cervantes Buch: Cipión und Berganza; Hunden des Auferstehungshos-spitals:

"Berganza:Ich weiss wohl, dass es Hunde gegeben hat, welche so dankbar gewesen sind, dass sie sich zu den Leichen ihrer Herren ins Grab gestürzt haben; andere haben sich auf die Gräber ihrer Herren gelegt, ohne sich davon zu entfernen und ohne Nahrung zu sich zu nehmen, bis sie selbst das Leben darüber verloren haben. Auch weiss ich, dass nächst dem Elefanten der Hund am meisten den Anschein erweckt, als ob er Verstand besässe; hierauf kommt gleich das Pferd und zuletzt der Affe." (S.31)

"Cipión: Halte deine Zunge im Zaum, denn sie ist die Anstifterin des grössten Unglücks im menschlichen Leben." (S.37)

In dem Gemälde El perro wird deutlich, dass der Hund etwas wahrnimmt, wir können aber nicht erkennen, was er sieht oder erwartet und ob es sich je materialisieren wird. Er könnte Zeuge eines ungewöhnlichen, übernatürlichen Ereignisses sein. In der alttestamentlichen Schrift von Tobit wird erzählt, dass ein Hund Zeuge war, als Tobias den gottlosen Dämon Asmodeus tötete. Ein in die Höhe schauender Hund findet sich auch in der Emblemata von Aliciati, zum erstenmal 1531 publiziert: Que el hombre deue alegrarse en Dios (1549). Der erdgebundene Hund sieht von unten zu, wie der Adler Ganymed in den Himmel trägt. Für die Katholiken bedeutete dies, dass der Mensch das Glück nur in Gott findet. Der Blick des Hundes in den undefinierbaren Raum kann einerseits Hoffnung auf etwas Neues aus-drücken oder andererseits Hoffnungslosigkeit, weil er in das Chaos einer auseinanderbre-chenden, nicht mehr geordneten Welt blickt. Der Raumzerfall wird durch die Malweise des Hintergrunds verdeutlicht, indem der Hintergrund raumlos und ohne Perspektive dar-gestellt ist. Die irreale Landschaft ist weder Innen- noch Aussenraum. Die Fläche kann Himmel, Lichtraum oder abstrakte Farbfläche sei. Goya setzt eine abstrakte, expressive Malweise ein und löst dadurch den formalen Inhalt des Bildes auf.

Philipp Wyrsch, Zürich

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