Farbe und Kunst: Goya


3. Las pinturas negras die schwarzen Malereien
El mundo es una mascara
Bedrängt von der Restauration, der wachsenden politischen Unterdrückung, entmutigt durch Heuchelei, Intrigen und Denunziation kaufte Goya 1819 ein Landhaus, die Quinta del Sordo (Haus des Tauben) unweit von Madrid. Nachdem sich Goya an diesen Ort der Einsamkeit zurückgezogen und eine reale Distanz zum Hofe gewonnen hatte und sich von den Auftragsmalereien distanzieren konnte, setzte in seinem Schaffen eine wahre Bilderflut ein, und zwar vor allem in seinen Radierungen, die politischen Begebenheiten, Kriege und die Unsitten seiner Zeit aufzeigen, die weder als Medium noch als Thema den Kunstbedürfnissen des Hofes entsprachen.

Goyas Leben war neben den politisch-sozialen Ereignissen auch von seiner Krankheit geprägt, die den Verlust des Gehörs zur Folge hatte, so dass er sich nur noch durch das geschriebene Wort verständigen konnte. Anfangs war er von ununterbrochenem Dröhnen im Kopf heimgesucht, zudem von Sehstörungen und einer Lähmung der rechten Hand; diese Erscheinungen verschwanden aber wieder mit der Zeit. Die körperliche Behinderung, die ihn weitgehend von der Aussenwelt abschnitt, beeinflusste seine seelische Verfassung und wirkte sich auf sein künstlerisches Arbeiten aus. Innenleben und Phantasie des durch die Isolierung auf sich selbst zurückgeworfenen Malers wurden zunehmend wichtiger. Goya stellt die Menschen und deren Probleme aus einer andern Sicht, aus einer Innenperspektive dar. Dieser geistige Reifungsprozess ist aus den Entwicklungsphasen seiner Kunst abzu-lesen. Der Maler wuchs mit seiner Malerei in seine Malerei und Bildwelt. Er hinterfragt die Welt, ob sie wirklich soviel Tiefgang besässe oder doch mehr trügerische Fassade sei. In dieser Zeit, 1820 bis 1824, entstand der Bilderzyklus Las pinturas negras, in dem Goya ver-sucht den Blick hinter die Fassade zu zeigen.

Diese Werke malte er direkt mit dunklen Ölfarbe auf den Verputz der Wände im Landhaus. Einige Arbeiten zeigen bei Röntgenaufnahmen farbigere Untermalungen als das spätere Kolorit, das uns die Bilder heute zeigen. Im Werk Saturn verschlingt einen seiner Söhne ist das Rot des Blutes im Hintergrund in den folgenden Farbschichtungen, welche die Mikro-photografie aufweist, aufgebaut: 1. Kalziumsulfat; 2. Preussischblau, Bleiweiss und schwar-ze Kohle; 3. Zinnoberrot und Bleiweiss; 4. Reste von Schwarz (nicht deckende Schicht, möglicherweise Druckerschwärze); 5. Harzfirnisse.

"Während die Impressionisten ein halbes Jahrhundert später die vergänglichen Erschei-nungen der Natur im schwebenden Licht festhielten, hat Goyas kräftiger Pinselzug die Ver-gänglichkeit des Lebens, der menschlichen Hoffnungen und Utopien mit dem schwarzen Licht des Abgrunds, der Verachtung und des Todes erleuchtet. Dieses Schwarz ist nicht dunkler Schatten oder düstere Lokalfarbe, sondern Widerschein einer erlittenen Wirkich-keit" , die Goya in Ocker- und Erdtönen sowie mit schwarzer Farbe ausdrückt. Dadurch erhielten die Bilder später den Namen Las pinturas negras. Diese Ölgemälde sind in den zwei grösseren, übereinanderliegenden Räume angeordnet.

Der obere Raum

Das Schicksal
La Moira
123 x 266 cm, Madrid, Prado (757), M.559d, DF.111, G.708

Zweikampf mit Knüppeln
Rina a Garrotazos
123 x 266 cm, Madrid, Prado (758), M.559e, DF.112, G.709

Die Vorlesung
La lectura
126 x 66 cm, Madrid, Prado (766), M.559n, DF.120, G.710

Zwei Frauen und ein Mann
Dos mujeres y un hombre
125 x 66 cm, Madrid, Prado (765), M.559m, DF.119, G.711

Wallfahrt zur Quelle des hl. Isidor
Peregrination a la fuente
123 x 266 cm, Madrid, Prado (755), M.559b, DF.109, G:713

Phantastische Vision
Asmodea
123x265 cm, Madrid, Prado (756), M.559c, DF.110, G.715

Im Sand versinkender Hund
El perro
134 X 80 cm, Madrid, Prado (767), M.559o, DF.121, G.716

Raum im Untergeschoss

Die Frau aus dem
Volk: Dora Leocadia Zorilla
La Leocadia
147 x 132 cm, Madrid, Prado (754), M.559a, DF.108, G.699

Hexensabbat
El Aquelarre
El gran cabron
140 x 438 cm, Madrid, Prado (761), M.559h, DF:115, G.700

Saturn verschlingt einen seiner Söhne
Saturno
146 x 83 cm, Madrid, Prado (763), M.68/559k, DF.117, G.702

Judith und Holofernes
Judith y Holofernes
146 x 84 cm, Madrid, Prado (764), M.17/559l, DF.118, G:701

Die Wallfahrt des hl. Isidor
La romeria de San Isidro
140 x 438 cm, Madrid, Prado (760), M.559g, DF.114, G.703

Zwei Mönche
Dos frailes
144 x 66 cm, Madrid, Prado (759), M.559f. DF.113, G.705

Zwei Alte beim Essen
Dos viejos comiendo sopas
53 x 85 cm, Madrid Prado (762), M.559i, DF.116, G.707

Die Anordnungen der Gemälde sind jedoch nicht eindeutig nachweisbar. In den Bildern verarbeitet Goya Themen, die sich völlig vom früheren Werk unterscheiden, da der Maler auf nichts mehr Rücksicht nehmen muss und er seine innere Welt durch eine andere expressive und abstrakte Malerei ausdrücken kann. Dadurch erfindet Goya eine neue plastische Sprache und als Dokumentarist seiner Zeit schafft er eines der persönlichsten und er-greifendsten Werke der modernen Malerei. Seine Krankheit und Vereinsamung trugen da-zu bei, dass ein neuer Goya geboren wurde, der die Irrationalität in die Malerei umsetzte.

Philipp Wyrsch, Zürich

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